Dass Upcycling von Jeans umweltfreundlicher ist, als der Kauf neuer Hosen, geschenkt. Beim Berliner Label Schmitd wird aus alten Jeans dank ausgeklügelter Schnitttechnik Mode-Avantgarde.
Die Jeans, die Eugenie Schmidt bei unserem Besuch trägt, hat an den Seiten einen Einsatz aus Plisseestoff, die Alltagsmaske aus Seide hängt an einer bunten Kette um den Hals. Das Atelier ihres Berliner Labels Schmitd liegt etwas versteckt in einem Hinterhof im Stadtteil Neukölln. Hier wird aus alten Jeans dank ausgeklügelter Schnitttechnik Designerkleidung mit Stammbaum.
Die Kleidung von Eugenie Schmidt, 41, ist etwas für Modemutige und Kreative. Ihre Debütkollektion entwarf die in Tadschikistan geborene Deutsche zusammen mit der japanischen Textildesignerin Mariko Takahashi vor 11 Jahren aus Altkleidern. Ihre Idee: Sie wollten Müllberge durch Upcycling, das Wiederverwerten und Aufwerten von gebrauchten Stoffen, schrumpfen lassen. Für ihre Diplomarbeit an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee entwickelten sie dafür ein Trackingsystem mit QR-Code. Sie sammelten Kleidung bei ihren Kommilitonen und nähten daraus ihre erste Upcycling-Kollektion. Vom Berliner Senat bekamen sie eine Gründerförderung, sogar die New York Times schrieb über sie. Nach Ende des Studiums folgte 2010 der Startschuss für ihr gemeinsames Label „schmidttakahashi“.
Vor drei Jahren trennten sich die Designerinnen und Schmidt startete nach ihrer Elternzeit, ausgerechnet im April letzten Jahres während der Pandemie, wieder durch. Diesmal alleine und unter dem Namen „Schmitd“, das aus einem Buchstabendreher ihres Nachnamens entstand. Das D steht für Design. Mit Stoffresten aus Seide nähte sie Alltagsmasken, dekonstruierte eine Bomberjacke aus einer alten Kollektion und entwarf daraus ein neues Upcyclingmodell. Parallel entwickelte sie das Konzept ihres Labels weiter und plant in Zukunft Kooperationen mit anderen Modeherstellern.
„Jedes gespendete Kleidungsstücke wird archiviert. Der Spender kann sich auf unserer Homepage einloggen und sehen, was aus seiner Kleiderspende wurde“
Das Material für ihre Kollektionen stammt aus Kleiderspenden von Boutiquen, wo sie eigene Sammelboxen aufstellte, sowie von Freunden und Familie. Jede Spendentüte bekommt eine eigene Identifikationsnummer. Anschließend wird jedes Kleidungsstücke in einer Datenbank mit Angaben zu Farbe, Schnitt, Material, Spender und Ort archiviert. „Der Spender kann sich später mit der ID-Nummer auf unserer Homepage einloggen und sehen, was aus seiner Kleiderspende wurde“.
Für ihre Jeans und Blousonjacken in Patchworktechnik hat Eugenie Schmidt extra einen Sammelaufruf gestartet Sie sucht alte Jeans und Jeanshemden – dankbare Zielobjekte, die sich in fast jedem Kleiderschrank finden. „Jeder trägt Jeans“, sagt Schmidt, „Manche rocken sie richtig runter, oder sie tragen wie meine Mutter nur zwei ihrer 17 Paar.“
Die Hosen und Hemden gibt es in vielen Varianten, helle, dunkle, mal mit ungefärbter Rückseite, mal komplett durchgefärbt. Viel Spielraum für das Design. Bei der internationalen Stoffmesse Première Vision in Paris hatte Schmidt Patchwork-Denimstoffe gesehen, das inspirierte sie zu dieser Kollektion. Eine japanische Designerin entwickelte die Schnitte für die Hosen und Jacken am Stück, anschließend zerlegten sie den Schnitt in Einzelteile. Ein aufwendiger Prozess, viel Handarbeit.
Deshalb entwickelte die Labelgründerin neben den „Unikat“-Kollektionen aus Altkleidern eine Zweitlinie namens „Duplikat“ aus nachhaltigen Rest- und Musterstoffen, die sie in Polen produzieren ließ. Später kamen auch noch Accessoires wie Laptoptaschen aus Jeans oder kleine Dreieckstaschen aus den verbleibenden Resten dazu. So konnte Schmidt ihre Upcycling- und Designideen weiterverfolgen, auch kleine Stoffreste verarbeiten und gleichzeitig mit ihrem Label wachsen.
„Der eigentliche Wert ist die Geschichte“
Eugenie Schmidt greift ein dickes Buch vom Tisch ihres Büros und blättert darin. Es ist ihr Archiv, mit Fotos von rund 10.000 Kleidungsstücken, die sie bislang gesammelt hat. „Etwa ein Drittel davon habe ich bisher verarbeitet.“ Die gesammelten Kleidungsstücke werden aufgetrennt und in unterschiedlichen Designs neu zusammengesetzt. Die Kombination der Kleidungsstücke wird sorgfältig ausgewählt, immer mit der Prämisse, dass daraus ein höherwertiges Stück entsteht und die Charakteristika und Spuren des Trägers sichtbar bleiben.
„Kleidung ist ein Speichermedium“, findet Schmidt. „Idee und Material sind erst einmal wie ein unbeschriebenes Blatt.“ Je länger man ein Kleidungsstück trage, desto mehr zeichne sich vom Körper und der Persönlichkeit des Trägers darin ab. „Das ist wie mit altem Besteck von den Großeltern, der eigentliche Wert ist die Geschichte“, sagt Schmidt. „Die Menschen betrachten Altkleider als Müll. Wir fanden, dass sie durch das Tragen besonders wertvoll werden“. Außerdem wollten Schmidt und Takahashi schon bei der Gründung von „schmidttakahashi“ 2010 unbedingt eine Verbindung zwischen Kleiderspendern und -käufern herstellen.
Diese ursprüngliche Idee zählt heute auch zur DNA von „Schmitd“. Eugenie Schmidt hält ihr Handy an den QR-Code einer Laptoptasche aus Jeansstreifen, die vor ihr auf dem Tisch liegt. Jetzt kann sie sehen, welches die sogenannten „Parents“, die „Eltern“, der Tasche sind: Auf dem Bildschirm erscheinen Fotos von Jeans in unterschiedlichen Farben und Waschungen. Sie klickt weiter und zeigt die „Kids“ der Jeans, also alle Laptoptaschen, die aus den Jeans genäht wurden. Der Stammbaum verzweigt sich weiter in „Brothers & Sisters“, weitere Produkte aus den Eltern-Jeans wie Pyramidentaschen oder das Rückenteil einer Jacke. Schließlich gibt es noch „Friends & Neighbours“, das sind weitere Produkte aus derselben Spendentüte.
Den gesamten Stammbaum mit all den Geschichten und Informationen können Spender und Käufer gleichermaßen via QR-Code abrufen und auf der Website oder dem Handy nachlesen.
Das Thema Familie spielt bei Eugenie Schmidt augenscheinlich eine wichtige Rolle. Als Kind in Tadschikistan trug sie Schuluniform. „Den weißen Kragen musste ich jeden Samstag abtrennen und gewaschen und gestärkt wieder annähen“, erinnert sie sich. Schon ihre Oma nähte viel, für die Familie, für Nachbarn, für die Ehefrauen von Lokalpolitikern. Heimelig fand sie, wie Oma in ihrer Küche am Nähtisch saß zwischen Garnen und Stoffen. Auch ihre Mutter, eine Chemikerin, nähte damals in der Sowjetunion Kleidung für Eugenie und ihre Geschwister. Mangelwirtschaft war wohl der Auslöser für Eugenies Upcycling-Begeisterung. Das scheint ihr erst jetzt so richtig bewusst zu werden.
Altkleider für neue Kollektionen und Ideen für die Zukunft hat Eugenie Schmidt haufenweise. So plant sie beispielsweise Kollaborationen mit mittelständischen Modeunternehmen: Aus deren unverkaufter Ware könnte sie eine Upcycling-Sonderkollektion entwerfen. Schmidt würde das Design entwickeln und das Unternehmen könnte die Kleidung in den eigenen Produktionsstätten herstellen. So würde aus Ware, die für den Müll bestimmt wäre, wertvolle neue Kleidung. Ein Gewinn für die Umwelt und alle Beteiligten.
Erschienen in: Das Magazin 5/21, Natur 2/21. Fotos: Kathrin Harms