Im Interview spreche ich mit Greenpeace-Expertin Viola Wohlgemuth über Schadstoffe in Jeans, das staatliche Textilsiegel Grüner Knopf und den Einfluss von uns Konsumenten.
Ellen Köhrer: Frau Wohlgemuth, Jeans gelten als Umweltsünde der Mode. Was ist daran schädlich?
Viola Wohlgemuth: Jeans sind ursprünglich Arbeitshosen aus der Naturfaser Baumwolle und sehr lange haltbar. Das Problem heute ist ihre Herstellung und Nutzung. Bei der Herstellung einer Jeans werden etwa 7500 Liter Wasser verbraucht. Ökologischer sind Jeans aus Biobaumwolle. Diese braucht beim Anbau weniger Wasser, keine chemischen Pestizide und sie wird nicht gentechnisch verändert.
Und wie gefährlich sind die Farbstoffe?
Die blaue Farbe bekommen Jeans durch Indigo. Der ursprünglich pflanzliche Farbstoff wird heute synthetisch hergestellt. Das darin enthaltene Anilin ist ein Kontaktgift, es steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Ich habe Bilder gesehen, auf denen Arbeiter und Arbeiterinnen barfuß oder in Sandalen durch Chemikalien waten. Das darf es nicht geben. Die Farbe darf auch nicht auswaschbar sein. Das A und O bei der Jeansherstellung ist daher ein geschlossener Wasserkreislauf in den Fabriken, damit keine Kontamination in die Umwelt gelangt. Bei der Produktion von Billigjeans ist das meistens nicht der Fall.
Für den „Used-Look“ werden Jeans häufig sandgestrahlt. Warum geriet das in Verruf?
Eine hochwertige, langlebige Jeans wieder kaputtzumachen, ist generell ein Nachhaltigkeitsfiasko. Früher wurde außerdem viel mit Chemikalien, vor allem Chlor, gebleicht. Im Kontakt mit Wasser entstehen unter anderem Perchlorate, die die Schilddrüsenfunktion des Menschen schädigen. Gelangen sie in die Umwelt, bauen sie sich praktisch nicht wieder ab.
Welche Alternativen gibt es?
Das mechanische Sandstrahlen. Hier muss grundsätzlich sichergestellt werden, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter den Sand nicht einatmen, sonst bekommen sie nach wenigen Jahren Staublungen und haben nur eine sehr geringe Lebenserwartung. Sandstrahlen ist mittlerweile in vielen Ländern der Europäischen Union verboten. Allerdings wurde es nach China und Bangladesch ausgelagert.
Gibt es keine besseren Methoden als das Sandstrahlen?
Besser ist das Reiben. Auch hier ist der Arbeitsschutz sehr wichtig, damit abgeriebene Fasern nicht in die Lungen gelangen. Für die Umwelt sind physikalische Verfahren meist besser als die chemischen. Die beste Alternative momentan ist das Laserverfahren. Mit dem Laser werden Brandmuster oder Löcher in die Jeans reingefräst. Das wird hauptsächlich in Europa angewandt und ist etwas teurer, wegen der hier geltenden Umweltstandards.
„Das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, was nicht hergestellt werden muss“
Greenpeace kritisiert den Grünen Knopf, ein staatliches Textilsiegel für sozial und ökologisch nachhaltige Produktion. Warum?
Wir haben mit der Detox-Kampagne gezeigt, dass Firmen komplett sauber arbeiten können, wenn sie nur wollen. Im Rahmen dieser Kampagne hatten sich 80 Unternehmen – darunter H&M, Zara, Primark, Adidas, Nike, Puma, Aldi, Lidl und Tchibo – dazu verpflichtet, bis 2020 auf die gefährlichsten Chemikalien bei der Herstellung von Kleidung zu verzichten. Diese Firmen verantworten 15 Prozent der globalen Textilproduktion.
Der Grüne Knopf ist für mich nicht konsequent, da er weder die gesamte Lieferkette abdeckt, noch gesetzlich verpflichtend ist. So geht er bei der Textilproduktion in Europa ohne Nachweis davon aus, dass sie fair und sauber ist. Es gibt aber Belege, dass zum Beispiel in Rumänien und Bulgarien der Arbeitsstandard nicht eingehalten wird, vom Chemikalienmanagement ganz zu schweigen.
Welche Siegel gehen da weiter?
Die Siegel GOTS (Global Organic Textile Standard), IVN BEST (Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft) oder „Oeko-Tex Made in Green“ berücksichtigen schon die komplette Lieferkette, dazu gehört auch die Faserherstellung. Für die Abdeckung der Arbeitsrechte wäre die Kombination mit dem Fair-Trade-Siegel oder die Mitgliedschaft in der Fair Wear Foundation wichtig.
Was also fordert Greenpeace vom Grünen Knopf?
Kleidung ist zur Massenware und zum Wegwerfartikel geworden. Deswegen brauchen wir eine gesetzliche Regelung, die zu einer Herstellung verpflichtet, bei der Menschen und Natur nicht vergiftet werden und unter menschenwürdigen Bedingungen gearbeitet wird. Was in der konventionellen Modeindustrie stattfindet, ist pure Ausbeutung, Neokolonialismus in Reinkultur. Es braucht deshalb einen gesetzlich verpflichtenden, vollständigen Grünen Knopf. Und zusätzlich ein deutsches, und darauf aufbauend dann ein europäisches, Lieferkettengesetz.*
Welchen Einfluss haben wir Konsumenten?
Das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, was nicht hergestellt werden muss. Es gibt für jede Lebenslage und jede Person das Richtige, man muss sich nur mit den Alternativen zum Neukauf auseinandersetzen: Flohmärkte, Secondhand-Läden oder der Online-Kauf von Secondhand-Kleidern. Kleider mit Freundinnen und Freunden teilen oder Kleidertausch-Partys organisieren. Es gibt auch professionelle Leihgeschäfte, wo ich mir beispielsweise für ein Vorstellungsgespräch ein Outfit leihen kann. Es ist gut, so etwas auch in den sozialen Medien wie auf Instagram zu zeigen, also Vorreiter zu sein. Wenn doch einmal neu gekauft werden muss, dann sollte man auf langlebige, reparierbare Kleidung achten – und darauf, dass sie fair und sauber hergestellt wurde. Dabei helfen die Textilsiegel.
Erschienen in: Natur 2/21. Foto: Jiri Rezac/Greenpeace
* Anmerkung: Das deutsche Lieferkettengesetz wurde am 11.6.21 vom Bundestag beschlossen und gilt ab 2023. Ein EU-weites Lieferkettengesetz ist in Arbeit. Weitere Informationen: Lieferkettengesetz.de von Germanwatch und BMZ.de