Interview. Mode. Neue Materialien

„Die Geschichte hinter dem Design muss genauso schön sein wie das Design selbst“, Bruno Pieters

Model mit kurzärmeligem Kleid in Waffeloptik von Honest By Bruno Pieters.
Seite aus dem Modebuch Fashion Made Fair, Ellen Köhrer und Magdalena Schaffrin, Prestel. Mit Porträtfoto des belgischen Designers Bruno Pieters.
Das Interview mit Bruno Pieters stammt aus meinem Modebuch Fashion Made Fair, Prestel. Foto: Honest By
Model in weißem Minikleid mit rotem Haarkamm aus dem 3D-Drucker von Bruno Pieters + Commes des Machines und ihrer Kollektion Download EP01, 2015.
Bruno Pieters + Commes des Machines, Download EP01, 2015. Foto: Charlotte Abramow
Drei Fotos mit Models in den Kollektionen des belgischen Designers Bruno Pieters. Links oben: Model mit kurzärmeligem Waffelkleid. Links unten: Model mit schwarzem Waffel-Sweatshirt. Rechts: Model mit Pullover in Elfenbeinfarben und Hose in Ecru.
Honest By Bruno Pieters. Fotos: Frederick Heymann (li. oben und li. unten), Alex Salinas (re.)
Model mit schwarzem Hemd von Honest By Bruno Pieters.
Honest By Bruno Pieters. Foto: Alex Salinas
Honest By Bruno Pieters. Foto: Frederik Heyman

Interview mit dem Modedesigner Bruno Pieters über Transparenz in der Mode, darüber wie 3D-Design die Modeindustrie revolutionieren wird und über seine Zukunftsvisionen für die Branche.

Ellen Köhrer: Bruno Pieters, Honest By ist die erste Marke weltweit, die ihren Kunden ihre gesamte Preisgestaltung transparent macht und die komplette Zulieferkette offenlegt. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

Bruno Pieters: Honest By ist eine Marke, wie ich sie als Kunde haben möchte. Weil mir immer klarer wurde, dass das, was die Marken verkaufen, nicht das ist, was die Kunden bekommen. Sie verkaufen Träume, doch in Wahrheit kaufen wir oft Albträume, in die Tausende von Menschen verwickelt sind. Mit Honest By will ich dem Kunden alle Informationen liefern, die notwendig sind, damit er bewusst einkaufen kann. Die meisten Produkte der Honest By-Kollektionen sind aus zertifizierten biologischen oder recycelten Materialien. Auf unserer Webseite kann man deren Ursprungsort und Herstellungsprozess genau nachvollziehen. Bei bestimmten Kleidungsstücken war es uns allerdings nicht möglich, die Informationen mit dem Kunden zu teilen, da uns der Lieferant darum bat, es nicht zu tun. Aber die Informationen bekommen wir immer. Mir war es auch sehr wichtig, die Preiskalkulation offenzulegen, denn das zeigt, dass alle Beteiligten fair entlohnt wurden. Ich bin mir sicher: Wenn man Preistransparenz im internationalen Recht festlegen würde, könnte man solche Dinge wie Kinderarbeit oder andere unethische Praktiken sehr viel schneller aufdecken und verhindern. Das Konzept der hundertprozentigen Transparenz, das ich bei Honest By entwickelt habe, war etwas, das ich mir als Kunde und als jemand, der Mode liebt, gewünscht habe. Ich finde, jeder sollte Zugang zu diesen Informationen haben. Genau zu wissen, was wir kaufen, ist kein Privileg, sondern heutzutage eine Notwendigkeit. Diese Transparenz ist notwendig, damit wir Entscheidungen treffen können, die dem Schutz unserer Zukunft sowie der Zukunft kommender Generationen dienen.

Aber wie gelingt es Ihnen, diese Transparenz umzusetzen?

Ein ganzes Jahr lang hat ein Team von fünf Leuten die Informationen gesammelt, die nötig waren, um Honest By 2012 auf den Markt zu bringen. Den Großteil der Zeit haben wir neue Lieferanten gesucht und deren Hintergründe recherchiert. Wir waren eine relativ kleine Gruppe, die jeden Hersteller und jeden Lieferanten genau unter die Lupe nahm. Ich bin mir sicher, dass es für eine bereits etablierte Firma einfacher gewesen wäre. Die Lieferanten, mit denen wir inzwischen zusammenarbeiten, sind stolz auf ihre Produkte und mehr als bereit, ihren Produktionsprozess öffentlich zu machen. Letztlich ist es für alle eine Win-Win-Situation. Wir haben uns innerhalb kürzester Zeit einen guten Ruf erarbeitet, der Kunde gewinnt Klarheit und der Lieferant steigert seinen Bekanntheitsgrad.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Honest By keine Ökomarke sei. Was ist Honest By stattdessen?

Ich glaube, dass der Begriff Ökomode die Bemühungen bestimmter Designer, auf eine lebensfreundlichere Weise zu produzieren, marginalisiert. Für mich gibt es so etwas wie Ökomode nicht. Es gibt nur Mode. Einige von uns stellen sie transparent, nachhaltig und verantwortungsvoll her und andere eben nicht.

Wodurch hat sich Ihre Einstellung geändert? Wie ist das passiert?

Bevor ich Honest By auf den Markt brachte, hatte ich meine eigene Kollektion, die ich in Paris zeigte. Außerdem arbeitete ich für die deutsche Marke Hugo Boss. Ich hielt mich nicht für einen verantwortungslosen Designer, ich wusste es einfach nicht besser. Ich war mir der Konsequenzen meiner Entscheidungen nicht bewusst. Ich war überzeugt, dass es reichte, Stoffe von bekannten Luxuslieferanten zu kaufen. Damals habe ich geglaubt, teuer bedeute auch nachhaltig. Was natürlich nicht stimmt. Zertifizierte biologisch hergestellte oder andere nachhaltige Stoffe können manchmal teuer sein, aber teuer bedeutet im Umkehrschluss noch lange nicht nachhaltig. Nach meinem Sabbatical in Indien wurden mir diese Dinge bewusst und sie haben angefangen, mich zu belasten. Meine Einstellung hat sich einfach geändert. Ich glaube, diese veränderte Haltung bestimmten Dingen gegenüber war das Wichtigste, das mir in meinem Leben passiert ist. Ich erinnere mich daran, dass ich früher oft damit beschäftigt war, meinen Lebensstil zu rechtfertigen. Das muss ich jetzt nicht mehr. Ich bin stolz auf das, was ich tue.

»Open Source wird das ganze Modesystem ändern«

Die Fast Fashion-Firmen behaupten oft, dass sie nicht jedes Glied ihrer Lieferkette kennen können. Stimmt das?

Das trifft auch auf die Luxusmodemarken zu. Die Haute Couture ist genauso wenig transparent oder nachhaltig wie die Fast Fashion. Alles andere ist ein Mythos. Vielleicht war es früher mal so. Heute trifft das nicht mehr zu. Ich garantiere Ihnen, dass es in Paris keinen einzigen Designer gibt, der für eine Traditionsmarke tätig ist und weiß, wer auf dieser oder jener Seidenfarm in Indien oder China arbeitet. Solche Kleider mögen ein Vermögen kosten, weil sie in Paris handgefertigt wurden, aber niemand wird sagen können, wer auf den Baumwollfeldern arbeitet oder wie die Tiere behandelt wurden, von denen die Wolle stammt. Und das ist nur der Anfang. Die Geschichte hinter dem Design muss genauso schön sein wie das Design selbst – das ist meine Mission mit Honest By.

Einige Brands argumentieren, dass Transparenz nicht effizient ist. Wenn man alle Lieferanten genau ausleuchten würde, würde das viel zu viel kosten und die Textilien würden viel teurer werden…

Eine solche Antwort erwarte ich von Brands, die etwas zu verbergen haben. Aber es stimmt einfach nicht. Wenn die eigene Arbeit und der Produktionsort offengelegt und gezeigt werden, ist es für alle ein Vorteil. Das ist möglich, und es muss für den Kunden nicht teurer werden. Ich habe für große Firmen gearbeitet und dabei gelernt, dass alles machbar ist, wenn es der Kunde nur will. Die Kunden müssen verstehen, dass sie auf der Modepyramide ganz oben stehen. Alles steht in ihrer Macht. Was auch immer sie wollen, sie werden es bekommen. In dieser Branche geht es genau wie in jeder anderen einzig und allein darum, Geld zu verdienen. Das Ziel der Firmen ist nicht, die Welt einzukleiden oder die Menschen schön aussehen zu lassen, sondern es geht alleine um finanzielles Wachstum. Wenn wir wollen, dass Marken verantwortungsbewusst und transparent werden, müssen wir lernen, die Sprache des Geldes zu sprechen. Durch unsere Portemonnaies verleihen wir unserer Stimme Gehör. Einfach eine Meinung zu haben und dabei weiterhin Brands zu kaufen, die so unglaublich viel Schaden anrichten – dadurch ändert sich nichts.

Sie gelten durch Ihre transparente Arbeitsweise als eine Art Vorbild…

Ich mache das, was ich für wichtig und dringend halte. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich versuchen, aus einem Blinden einen Sehenden zu machen, und das frustriert und entmutigt mich. Aber solche Gedanken sind kontraproduktiv. Alle tun ihr Bestes, in dem Bewusstsein, das sie momentan haben. Zum Glück entwickeln wir uns ständig weiter.

Im Juni 2015 war Honest By die erste High Fashion-Marke mit einer 3D-Kollektion zum Download, die man auf jedem 3D-Drucker herstellen kann. In Zusammenarbeit mit dem spanischen Designkollektiv Comme Des Machines haben Sie neun unterschiedliche 3D-Accessoires entworfen. Warum haben Sie das gemacht?

Was ich an 3D-Drucken liebe, ist die Tatsache, dass man sie zu Hause oder bei einem 3D-Hub ausdrucken kann. Das macht Spaß, ist demokratisch, ethisch und nachhaltig. Man umgeht lange Transportwege, und das ist großartig für die Umwelt. Außerdem gibt es keine arbeitsethischen Probleme mehr, weil man sein eigener Hersteller wird. Und dazu kommt, dass es direkt und völlig transparent ist. Für junge Designer kann so etwas geradezu lebensrettend sein, da eine Mindestbestellmenge entfällt. Es gibt so viele Vorteile. Ich glaube, das Verfahren besitzt das Potenzial, die ganze Industrie zu verändern.

Glauben Sie wirklich, dass 3D-Design die Lösung für all diese Probleme sein könnte?

Vielleicht nicht für alle. Aber wenn wir diese Technologie weiterentwickeln, hat sie das Potenzial, viele Probleme zu lösen, vor denen wir augenblicklich stehen. Wenn wir in einigen Jahren Socken, Unterwäsche, T-Shirts und Ähnliches selbst ausdrucken, wird sich vieles zum Besseren verändern. Irgendwann könnte 3D-Druck sogar zu so etwas wie Instagram oder Facebook werden. Alle wären in der Lage, ihre Designs online anzubieten, und wir könnten sie herunterladen und ausdrucken. In der Zukunft könnte jeder Designer sein.

Verwenden Sie nachhaltige Materialien für Ihre 3D-Kollektion?

Die Druckmasse ist biologisch abbaubar und recycelt. Bald wird es Schredder geben, die ungewollte Drucke zu neuer Druckmasse verarbeiten. Man wird in der Lage sein, zu Hause zu recyceln. Einige Drucker werden auch Haushaltsabfall in neue Druckmasse verwandeln können. Das wäre doch fantastisch. Sie haben Ihre 3D-Accessoire-Kollektion zum Download als Open Source-Projekt angeboten. Das heißt, man kann die Dateien einfach verwenden und auch abändern? Ja, man kann die Farbe ändern und so weiter. Aber wenn man das Design so will, wie wir es entworfen haben – was ja gewöhnlich das ist, was der Kunde möchte –, wieso sollte man das dann tun?

»Be the change you want to see in the world«, Gandhi

Könnten Kunden Ihr Design nehmen und es in Masse produzieren lassen?

Ja. Es funktioniert genauso, wie wenn ich meine mp3-Musikdateien teile. Die Musikindustrie behauptet ja gerade, darunter zu leiden. Aber das bedeutet nichts. Wenn die Öffentlichkeit etwas will, dann kann und sollte man sie nicht davon abhalten. Ein Großteil der Designs ist urheberrechtlich geschützt… Es wird auch nicht über Nacht passieren. Ich bin mir sicher, dass alles gut gehen wird.

Glauben Sie, dass der Open Source-3D-Druck vieles an der Zukunft der Mode ändern könnte?

Ich hoffe es. Aber wir stehen erst am Anfang. Es ist noch eine sehr junge Idee. Bisher ist das, was man ausdrucken kann, begrenzt. Es gibt außerdem noch keine anderen Brands, die Designs anbieten, welche man herunterladen und zu Hause oder via 3D-Hubs ausdrucken kann. Doch ich bin mir sicher, dass sich das weiterentwickelt – und das sollte es auch. Ready-to-wear wird zu Ready-to-print. Das wäre toll. Bei der Rana Plaza-Tragödie stürzte im April 2013 in Bangladesch eine achtstöckige Textilfabrik ein. 1134 Menschen starben, mehr als 2.300 wurden verletzt.

Glauben Sie, den Kunden ist seitdem bewusster, wie unsere Kleidung hergestellt wird?

Diese Geschichte erschien in allen Medien und im Internet. Es gibt auch einige Dokumentationen und Ähnliches darüber. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Gandhis berühmter Satz »Be the change you want to see in the world« schon zu allen durchgedrungen ist. Eine kleine Anzahl von Menschen hat dieses Bewusstsein bereits und die ist sehr einflussreich, das gibt mir Zuversicht. Es vollzieht sich eindeutig ein Wandel.

Jeder muss also bei sich selbst anfangen?

Genau. Die Leute beginnen, Fragen zu stellen. Und es gibt keinen besseren Ausgangspunkt, als bei sich selbst anzufangen.

Pflegen Sie einen nachhaltigen Lebensstil?

Ich tue, was ich kann. Ich bin mittlerweile Veganer und trage nur noch biologisch zertifizierte Kleidung oder Secondhand-Sachen. Alle meine Möbel sind Vintage. Meine Lebensmittel kaufe ich vor Ort oder mit Bio-Zertifikat. Gas und Strom kommen bei mir aus hundertprozentig erneuerbarer Energie. Ich fahre Fahrrad. Ich habe kein Auto. Alles, was ich tun kann, tue ich. Und wenn mir jemand erklärt, ich könne noch mehr tun, dann mache ich das. Es geht immer weiter. Es gibt mir ein gutes Gefühl, und ich bin stolz auf mich.

Gibt es jemanden, der Sie inspiriert hat, Ihr Verhalten zu verändern?

Meine jüngste Schwester hat mir sehr dabei geholfen. Sie hat sich schon vor mir für vegane Ernährung etc. interessiert. Durch all diese Entscheidungen und Veränderungen in meinem Lebensstil fällt es mir jetzt auch leichter, mich selbst zu lieben. Wenn man stolz auf sich ist, ist es viel leichter, sich selbst zu lieben. Gut zu anderen zu sein, macht es also für mich leichter, auch gut zu mir selbst zu sein.

Welche Vision haben Sie für die Zukunft der Mode?

Ich habe Hoffnung. Wenn wir diesen Dialog fortsetzen, werden sich die Dinge ändern. Die Lösungen sind bereits da, wir müssen sie nur noch praktisch umsetzen.

Was halten Sie augenblicklich für die größten Probleme in der Modebranche?

Das größte Problem liegt darin, dass die Lösungen bereits existieren – und es sind viele Lösungen –, aber man ignoriert sie oder schiebt ihre Umsetzung hinaus. Und der Kunde lässt das zu. Aber ich bin mir sicher, dass dieses Buch dazu beitragen wird, die Dinge zu beschleunigen.

Erschienen in: Fashion Made Fair, Ellen Köhrer + Magdalena Schaffrin, Prestel, 2016

Model mit weißem Pullover aus T-Shirt-Stoff und mit Strickärmeln in Schwarz-Weiß.
Honest By Bruno Pieters. Foto: Alex Salinas

Kurzbiografie

Bruno Pieters ist Modedesigner aus dem belgischen Antwerpen und Vorreiter in Sachen Transparenz in der Modebranche. Er studierte Modedesign an der Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen. Anschließend hat er für große Marken wie Christian Lacroix und Martin Marginal gearbeitet und war Kreativdirektor der Avantgarde-Linie Hugo von Hugo Boss. Nach einem Sabbatical und Reisen nach Indien änderte sich seine Weltsicht radikal. Er machte sich fortan Gedanken über die Umwelt, Tierschutz und die Rechte von Kindern. Sein Lebensmotto heißt heute, frei nach Gandhi: „Be the change you want to see in the world“. 2012 gründete er Honest By als erste 100 Prozent transparente Modemarke weltweit. Die Kollektionen: minimalistische Mode mit architektonisch anmutenden Schnitten für Damen und Herren. Sie sind ausschließlich aus zertifizierten Materialien wie Biobaumwolle oder Bioseide. Pieters, heute Veganer, verzichtet auf Leder und Pelz. Im Onlineshop von Honest By legt er seine komplette Lieferkette offen.

Translate »