Architektur. Design

Deals am Deich: Rotterdam, Stadt der Zukunft – Teil 2

Foto der Rotterdamer Erasmusbrücke, die von der Innenstadt zum Vorzeigestadtteil Wilhelminapier führt. Rechts daneben die Drillingstürme De Rotterdam von Rem Koolhaas' Architekturbüro OMA erinnern an die Container, die hier einst gestapelt wurden.
Porträtfotos der Rotterdamer Architekten und Designer, die die „Schoonheid“, eine Stadt der Zukunft entwerfen. Ellen van Loon, OMA; Eline Strijkers und Duzan Doepel, DoepelStrijkers; Nathalie de Vries, MVRD; Daan Roosegaarde, Studio Roosegaarde (von li. oben im Uhrzeigersinn).
Quartett der Vordenker: Ellen van Loon, leitende Architektin am Office for Metropolitan Architecture (oben li.); Eline Strijkers und Duzaan Doepel führen das Architekturbüro DoepelStrijkers (oben re.); Nathalie de Vries ist Mitgründern von MVRDV (re.); Architekt und Künstler Daan Roosegaarde entwickelt Zukunftsvisionen für den öffentlichen Raum (li.). Fotos: Dirk Bruniecki
Transparenz und jede Menge Platz: hinter der Rasterfassade des Timmerhuis von OMA in Rotterdam sind außer der Stadtverwaltung auch Wohnungen untergebracht; das Gebäude sieht aus, als hätten es die Architekten aus überdimensionalen Legosteinen zusammengebaut (li.). Schattenspiele in der Dreamfactory von Daan Roosegaarde (u.), das Studio des Designers ist in einer ehemaligen Glasfabrik im früheren Hafengebiet Rotterdams.
Transparenz und jede Menge Platz: hinter der Rasterfassade des Timmerhuis von OMA sind außer der Stadtverwaltung auch Wohnungen untergebracht (li.); Schattenspiele in der Dreamfactory von Daan Roosegaarde (u.). Fotos: Dirk Bruniecki
Daan Roosegaarde träumt von einer besseren Welt (oben), er liegt auf dem Boden seines Studios und blickt durch's Glasdach in den Himmel. Im Bild unten, die interaktiven Wandelemente Lotus 7.0., die sich wie eine Lotousblüte durch Lichteinfall öffnen und schließen.
Daan Roosegaarde träumt von einer besseren Welt (oben), dazu gehören auch interaktive Wandelemente wie Lotus 7.0. Fotos: Dirk Bruniecki
Gelungene Verbindung: Die Erasmusbrücke führt von der Innenstadt zum Vorzeigestadtteil Wilhelminapier. Die Drillingstürme De Rotterdam von Rem Koolhaas‘ Architekturbüro OMA erinnern an die Container, die hier einst gestapelt wurden. Foto: Dirk Bruniecki

Der größte Komplex der Niederlande, ein riesiger Staubsauger gegen den Smog und begehbare Archive: In Rotterdam entwerfen Architekten die „Schoonheid“, eine Stadt der Zukunft.

Gerade baut MVRDV ein Depot für das Museum Boijmans van Beuningen, gleich neben von der Markthal. Die Form erinnert an eine übergroße, verspiegelte Schüssel. Es soll das erste begehbare Museumsarchiv werden, Besucher können nach der Eröffnung 2019 den Restaurateuren bei der Arbeit zuschauen, und mit dem Dachgarten soll dem Museumspark ein Stück Natur zurückgeben werden.

Den Museumspark mit der Kunsthal hat Rem Koolhaas’ Office for Metropolitan Architecture (OMA) gestaltet. Das Stammhaus liegt am anderen Ende der City in einem 1960er-Jahre-Bau, hier arbeiten 180 der weltweit rund 300 Mitarbeiter. Zwischen den Arbeitsplätzen hängt ein riesiges Foto des Gründers an der Wand. Ellen van Loon, eine der leitenden Architektinnen, arbeitet seit 1998 dort. Kehlige Stimme, lässig hoch gestecktes Haar, Jacke mit Reißverschluss zur Smokinghose. Eines ihrer Projekte, De Rotterdam, steht am Südufer der Maas auf dem Wilhelminapier zwischen Hochhäusern, die Norman Foster und Renzo Piano entworfen haben. Mit seinen drei Türmen dominiert der Komplex die Skyline – eine vertikale Stadt mit Wohnungen, Büros, einem Hotel, Shops, Restaurants und Cafés. Schaut man an der Fassade hinauf, wird einem schwindlig – ein Hauch von Manhattan in Holland, die Verkleidung erinnert an das World Trade Center. In der Eingangshalle viel Glas, Stein und Beton, dazwischen Ledersofas.

Mit 162.000 Quadratmetern ist De Rotterdam das größte Gebäude der Niederlande. „Das Konzept war so kühn und neu und von einer solchen Dichte und Dynamik, dass wir anfangs nicht daran geglaubt haben, dass wir es je bauen würden“, sagt van Loon. Doch der Plan ging auf, auch wirtschaftlich. „Hochhäuser können ja viele bauen, doch wir haben hier eine gute Balance zwischen kommerziellen und privaten Investments für Gebäude mit hoher Qualität – das unterscheidet Rotterdam von Städten wie London oder Frankfurt.“ Einiges an Lob gebührt, meint van Loon, der mutigen, langfristigen Stadtplanung, die eine Vision habe und keine Scheu for Großprojekten.

Mit dem Bau der Erasmusbrücke über die Maas, eine Verbindung der reichen City mit der ärmeren Südseite, legte die Stadt 1996 den Grundstein zur Erschließung des anderen Ufers. Der Hafen war längst stadtauswärts in Richtung Nordsee gezogen, so waren Flächen für ein neues Wohn- und Büroviertel entstanden. Van Loon findet es faszinierend, wie die Brücke diese Entwicklungen gefördert und beschleunigt hat: „Als Architekten können wir so viel träumen und Ideen publizieren, wie wir wollen, für die Umsetzung bei so bedeutenden Infrastrukturprojekten brauchen wir aber die Unterstützung von Stadt und Regierung.“

„Rotterdam ist perfekt für Experimente – die Stadt definiert sich über ihre Zukunft, nicht ihre Vergangenheit“, Daan Roosegaarde

Das gilt auch für das Studio Roosegaarde, das fünf Kilometer westlich vom OMA in einem früheren Hafengebiet liegt. Das Viertel wird für Kreative, Forschung, Gewerbe und Wohnen erschlossen, es ist Teil eines Masterplans zur Verdichtung der Stadt, die gleichzeitig grüner und nachhaltiger werden soll.

Daan Roosegaardes Dream Factory hat ihren Sitz in einer ehemaligen Glasfabrik. Der Architekt, rotblond und schlaksig, Designeranzug und Prada-Sneaker, träumt von einem Menschenrecht auf „Schoonheid“, gemeint ist „die Schönheit der Kreativität“. Auf Holländisch bedeute das auch Sauberkeit, also saubere Energie, sauberes Wasser und saubere Luft. Der Smog Free Tower, Prototyp eines überdimensionalen Staubsaugers filtert bis zu 75 Prozent des Feinstaubs aus seiner Umgebung. Die eingesammelten Partikel werden zu Schmuck gepresst. Mit dem Kauf eines Smog-Free-Rings kann man 1000 Kubikmeter saubere Luft „spenden“. Das ist nicht viel, doch Roosegaarde will mit dem Projekt demonstrieren, dass der Traum von sauberer Luft grundsätzlich erfüllbar ist.

Rotterdam sei perfekt für solche Experimente, „die Stadt definiert sich über ihre Zukunft, nicht die Vergangenheit“. Ideal für ihn und sein Team, um Prototypen zu entwickeln, „danach wachsen sie in die Welt hinaus“. Den Smog Free Tower haben sie auf dem Gelände hinter dem Haus ausprobiert; Städte in China und Indien sind interessiert.

Die Niederländer nutzen Kreativität und Technologie seit Jahrhunderten, um ihren Lebensraum zu erweitern und zu sichern. „Das liegt in unserer DNA“, sagt Roosegaarde, „erzähle ich Freunden in China, dass wir unterhalb des Meeresspiegels leben, fragen sie mich, ob wir verrückt seien – aber wir bleiben und bauen Deiche statt nach Deutschland auszuwandern.“ Deiche wie den 32 Kilometer langen Afsluitdijk im Norden des Landes. Das Roosegaarde-Projekt an den Schleusen wird Mitte November eingeweiht. Die tempelartigen Bauten bekommen einen Anstrich mit reflektierender Farbe. Die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos werden sie festlich beleuchten, „damit huldigen wir dem Entwurf des Architekten und geben ein Statement gegen Lichtverschmutzung ab“. Über den Toren sollen Drachen schweben, deren Schnüre im Wind Energie produzieren, als „Alternative zu den großen Windmühlen“. Die Drachen, hofft man, liefern Energie für 200 Haushalte. Erfolg nach bewährtem Muster. Eine Kombination aus Poesie und Funktion, beauftragt vom Infrastrukturministerium, in Rotterdam erdacht, getestet – und in die Welt entlassen.

Erschienen in: Lufthansa Exclusive 11/2017. Fotos: Dirk Bruniecki

Der Ahnherr der Szene

REM KOOLHAAS, geboren am 17. November 1944 in Rotterdam, ist einer der prägendsten Architekten unserer Zeit. Vor seiner Laufbahn als Architekt war er Journalist. 1975 gründete er zusammen mit Madelon Vriesendorp, Elia und Zoe Zenghelis das Office for Modern Architecture (OMA). Der Architekt ist einer von acht Partnern des OMA mit Büros in Rotterdam, Hong Kong, New York, Australien und Katar. Daran angeschlossen ist das AMO, ein Think Tank für Projekte jenseits von Architektur und Städtebau.

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