Der Berliner Architekt, Designer und Visionär Van Bo Le-Mentzel über die Zukunft des Wohnens in der Stadt, flexible Räume und Tiny Häuser.
„Can’t stop“ von den Red Hot Chilli Peppers tönt aus einem Fitnessstudio über den Hinterhof, als Van Bo Le-Mentzel mit dem Rennrad angefahren kommt. Der Songtitel könnte das Motto des 44-jährigen Berliners sein, er steckt voller Ideen, Visionen und Projekte zur Zukunft des Wohnens. Zum Interview treffen wir uns vor einem von ihm entworfenen Tiny Haus aus Holz, das zwischen Werkstätten und Büros in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs steht.
Ellen Köhrer: Wie kamst du auf die Idee Tiny Häuser zu entwerfen, lag das am Zeitgeist?
Van Bo Le-Mentzel: Als ich mein erstes Tiny House erfunden habe, kannte ich den Begriff noch gar nicht. Die Tiny House-Bewegung wurde erst durch Jay Shafer und seine Firma Tiny Houses bekannt. Entstanden ist sie in den USA, als viele nach der Finanzkrise 2008 ihre Häuser und Grundstücke verloren haben, weil sie die Kredite nicht mehr bezahlen konnten. Das hat weltweit eine Debatte angestoßen, inwieweit wir uns zu sehr auf Kapitalismus, Wachstum und die Finanzwirtschaft verlassen haben.
2012 hast du das Ein-Quadratmeter-Haus entworfen. Der Name klingt nach Provokation, was steckt dahinter?
Das Ein-Quadratmeter-Haus ist so groß wie eine Telefonzelle. Man kann drin sitzen, es gibt einen kleinen Tisch und wenn man es auf die Seite kippt, kann man drin schlafen. Das Youtube-Video dazu wurde über eine Million mal geklickt und wurde sehr kontrovers diskutiert. Es war keine Lösung, um Wohnungslosigkeit oder Obdachlosigkeit zu behandeln. Ich wollte zeigen wie mobile Wohnungen und Häuser aussehen müssten, eine Diskussion anstoßen und Fragen provozieren wie: Warum gibt es keine Häuser, die man wenden, drehen oder auf die Seite kippen oder wo ich die Fenster einfach mal woanders hin verschieben kann? Es geht mir auch um soziale Fragen wie: Warum ist Wohlstand so stark an Grund und Boden gekoppelt? Mit dem Ein-Quadratmeter-Haus auf Rädern kann man ja zum Beispiel überall hin gehen. Wie können wir die Welt noch ein bisschen besser und anders denken? Das sind Gedanken, die ich wichtig finde.
Was war deine Intention beim Entwurf des Tiny Hauses Go Tito?
Ich habe immer von einem Haus geträumt, das die Mindestanforderungen ans Wohnen beinhaltet und das man vervielfältigen kann. Ähnlich wie die Hartz IV-Möbel zum Selberbauen. Mit Wohnzimmer oder Wohnküche, Toilette und Schlafplatz. So habe ich das Tito Haus entwickelt. Tito steht für Tiny Town House, also ein Reihenhaus. Stellt man mehrere Häuser nebeneinander, kann man sie miteinander verbinden und durch die Tür an der Längsseite von einem Haus ins nächste gehen.
Man kann damit also unterschiedliche Räume kreieren?
Genau, das ist ein modulares System. Wie bei Reihenhäusern kann man Wände entfernen, so dass ein Raum wachsen oder schrumpfen, also atmen kann. Das ist die besondere Idee des Tito Hauses, dieses Prinzip, was man von Bürocontainern kennt, wollte ich auf ein Holzhaus übertragen. Ich habe viele Jahre geforscht, was die perfekte Größe ist. Mit 14 Quadratmetern ist das Tito Haus schon relativ groß. An der höchsten Stelle ist es drei Meter sechzig, die Fläche oben kann man als Loft zum Schlafen nutzen. Die Architekten Masen Khattab und Lukas Sailer – Freunde von mir – haben es serienreif gemacht. In sehr hoher Qualität aus nachhaltigen Materialien, die aus fairer Herstellung stammen. Man kann das Tiny Haus auf Rädern als Bausatz zum Selberbauen oder als fertiges Haus kaufen.
„Wir sollten Häuser, Straßen, Plätze und Möbel mit offenem Ende bauen.“
Wohnraum in Großstädten wie Berlin wird immer knapper und teurer. Seit der Pandemie ziehen immer mehr Menschen auf’s Land. Ist das die Lösung oder was wäre die Alternative?
Fehlt Wohnraum, dann bauen wir am Stadtrand Berlins oder in Brandenburg Wohnungen. Wir gehen dorthin, wo der geringste Widerstand ist. Wir sollten die Finger von Zersiedelung lassen und lieber in der Stadt, wo schon alles zubetoniert ist, kucken, wie wir da nachverdichten können. Ich glaube, das ist besser, wenn wir die Qualität hier verbessern. Beim Hausbau müssen wir schauen, ob wir wirklich alles abreißen müssen oder nicht vielleicht doch eher sanieren sollten. Es ist heute sehr viel billiger, ein neues Haus zu bauen, als ein altes Gebäude zu sanieren und umzunutzen. Und da sehe ich die Politik in der Pflicht, die Gesetze so zu verändern, dass Sanieren und Umnutzen lukrativer wird.
Was ist deine Intention als Architekt und Designer?
Als Gestalter will ich die Leute dazu ermutigen, dass sie eine Sache – egal ob Tisch, Stuhl oder Raum – nicht nur für eine monofunktionale Ausrichtung reservieren. Das ist ein bisschen, wie wenn ich eine Geschichte mit offenem Ende erzähle. Wir sollten Häuser, Straßen, Plätze und Möbel mit offenem Ende bauen. Wir sollten den Nutzerinnen und Nutzern das Vertrauen geben, dass sie schon etwas Sinnvolles damit machen. Man muss es aber zulassen. Wenn man ein Objekt zu spezifisch auf ein Szenario designt, kann man es nur in diesem Szenario verwenden. Und sobald man für dieses Szenario keinen Bedarf mehr hat, muss man es wegschmeißen, das ist nicht nachhaltig. Man kann schon im Designprozess Nachhaltigkeit wie ein Wasserzeichen mit einbauen.
Geht das auch bei Häusern und Wohnungen?
Ja. Ich bin ein großer Fan davon, Zimmer nicht auf eine bestimmte Funktion wie Wohn- oder Esszimmer zu reduzieren. Jeder Raum sollte ein Raum für Möglichkeiten sein, bei dem das Ende offen bleibt. Wir könnten mehr mit Räumen experimentieren, aber das machen zeitgenössische Architekturbüros nicht mehr. Ich will aber gar nicht die Architekten beschuldigen. Die Bauherren entscheiden ja am Ende über das Budget, und was überflüssiges Geld kostet, wird einfach nicht gemacht.
Was planst du als gerade?
Ich erfinde gerade verschiedene Wohnungstypen aus meinen Erkenntnissen mit den Tiny Houses und den temporären Tiny House-Dörfern, die ich initiiert habe. Ich versuche, daraus Vorschläge für Quartiers-Planung mit günstigen Mieten zu machen. Und ich suche ein Grundstück, wo ich eines der von mir entworfenen drei- oder viergeschossigen Wohnhäuser aus Holz bauen darf. Außerdem träume ich von einer App, mit der man die Maße von Baulücken im Vorbeigehen am Mobiltelefon eingeben kann. Die App könnte dann ein passendes Wohnhaus ausspucken, inklusive Quadratmeterzahl, Baukosten und der Anzahl, wieviele Menschen dort wohnen könnten.
Meinen Artikel über Van Bo Le-Mentzels Designermöbel aus Holz zum Selberbauen, gibt’s hier.