Design ist niemals unschuldig! So provokativ und treffend ist eine aktuelle Arte-Dokumentation betitelt, die aufzeigt, inwiefern Designentscheidungen mitverantwortlich sind für Massenkonsum und seine negativen Umweltauswirkungen. Wie man Ästhetik, Nutzwert und Nachhaltigkeit in Möbelstücken formschön vereint, kann man beim Designer und Architekten Van Bo Le-Mentzel sehen, er entwirft Designermöbel zum Selberbauen aus Holz.
Das Tiny House steht zwischen Werkstätten und Büros, einen Steinwurf vom Berliner Hauptbahnhof entfernt. Es ist der Ausstellungsort des Berliner Architekten und Designers Van Bo Le-Mentzel, 44, der dafür bekannt wurde, dass er seine Ideen und Konstruktionspläne für nachhaltiges Wohnen am liebsten kostenlos mit der Community teilt. Rund 26.000 Menschen folgen ihm auf Facebook, die Seite heißt „Konstruieren statt Konsumieren“. Auch das Tiny House selbst, in das er Besucher lädt, stammt von ihm. Drinnen stehen ein Holzsofa mit blaugrünen Polstern und ein schlichter Hocker – Stücke seiner „Hartz-IV-Möbelkollektion“. Das sind Möbel zum Selberbauen, aus günstigen und nachhaltigen Materialien.
Auf die Idee dazu kam Le-Mentzel bei einem Holzkurs an der Volkshochschule. „2010 habe ich den ersten Stuhl entworfen“, sagt er. Nach dem Platzen der Immobilienblase in den USA und der darauffolgenden weltweiten Finanzkrise gab es ein Revival der Do-it-Yourself-Bewegung. „In diesem Zeitgeist sind die Hartz-IV-Möbel entstanden“, erklärt Le-Mentzel. Er ist Fan von zeitlosem Design und hat seine Entwürfe Bauhausmöbeln nachempfunden. Der Gedanke dahinter: „Jeder kann Luxusmöbel haben, man muss sie nur selber bauen“.
Die Baupläne für seine Möbel hat Le-Mentzel ins Internet gestellt, zum kostenlosen Herunterladen. „Ich wollte davon nicht finanziell profitieren.“ Viel mehr als Geld bedeute ihm Anerkennung. „Das ist ein tolles Gefühl“, sagt er. „Und auch, dass ich den Leuten helfen kann. Seinen ersten Stuhl-Entwurf, den „24-Euro-Sessel“, habe er dem „Barcelona-Sessel“ von Architekturikone Mies van der Rohe nachempfunden, verrät Le-Mentzel. Der Name komme daher, dass das dafür nötige Holz im Baumarkt 24 Euro koste. Am besten, man nimmt welches mit FSC-Nachhaltigkeitssiegel.
„Holz ist etwas Lebendiges, und diese Energie spürt man, das ist halt einfach Natur.“
Holz habe für ihn etwas Magisches, erzählt Le-Mentzel. Deshalb hätten Holzmöbel auch heute nichts an Aktualität verloren, obwohl es inzwischen viel praktischere Baustoffe gebe, um etwa Sitzschalen für Stühle oder Möbelflächen zu formen. „Holz ist etwas Lebendiges, und diese Energie spürt man, das ist halt einfach Natur.“ Außerdem sei Holz ein sehr toleranter Baustoff. „Es verzeiht, wenn ich falsch reinbohre, denn ich kann es ausbessern.“
Zu Van Bo Le-Mentzels Möbelkollektion gehört auch die „Draper Couch“, ein zweisitziges Sofa. Es ist – natürlich – aus Holz gefertigt und verfügt über ein Bücherfach auf der Rückseite. Das Polster der Sitzfläche besteht aus einer Kindermatratze, bezogen hat sie Le-Mentzel mit recyceltem Stoff.
Ein weiteres gewitztes Möbelstück, das er ersonnen hat, ist der „Berliner Hocker“. Ihn kann man mit Holz und zehn Schrauben für insgesamt zehn Euro in zehn Minuten nachbauen. Das Möbelstück kann vieles sein: Hocker, Stuhl, Ablage, Rednerpult, Kindersessel oder Beistelltisch. Kombiniert man mehrere Hocker miteinander, hat man ein Regal. Sein neuestes Möbel ist eine mobile Küche mit eingebautem Wok, die „Wok-Life-Kitchen“.
Der Berliner Independent-Designer sprudelt nur so vor Ideen. Doch plötzlich schaut er auf die Uhr seines Smartphones und beendet das Gespräch – Le-Mentzel muss los, seinen Sohn von der Schule abholen. Le-Mentzel setzt sich aufs Rennrad und strampelt davon.
Bearbeitete Version. Erschienen in: Das Magazin 9/21 und natur 7/21. Fotos: Kathrin Harms
Min Interview mit Van Bo Le-Mentzel über die Zukunft des Wohnens könnt ihr hier lesen.