Anna Heringer sitzt vor der riesigen Bücherwand der AEDES Architekturgalerie in Berlin Anna und stellt ihr Buch „Form Follows Love“ vor. Zum Bubikopf trägt sie Schwarz, dazu eine handbestickte roséfarbene Weste und lehmfarbene Sneakers. So unprätentiös wie ihr Look ist auch das Buch und ihre Geschichte. Statt von ihren vielfach preisgekrönten Lehmbauten in aller Welt zu erzählen, liest sie die Einleitung „Über das Glücklichsein“. Schon hat sie die Sympathien des Publikums. Das Buch handelt von der felsenfesten Überzeugung, dass sie die Welt verändern kann. Von Selbstwirksamkeit, dem Tragen von Verantwortung und Vertrauen in die eigene Intuition. Von Rückschlägen und Lernerfahrungen. Und von der Lehmbau-Architektur.
Aufgewachsen ist Heringer in einem ökologisch-musischen Elternhaus in Laufen, an der österreichischen Grenze. Selbstversorgung, Eigenproduktion, Resilienz und Teilen gehören zu den Grundwerten der Familie. Nach dem Abitur verbrachte Heringer ein Jahr bei einer Nonprofit-Organisation in einem Dorf im Norden Bangladeschs. Das prägte sie zutiefst, bis heute.
Nach dem Architekturstudium an der Kunstuniversität Linz baute sie, im Norden Bangladeschs, die METI-School. Gemeinsam mit lokalen Handwerkern aus der Region. Ein Meisterwerk aus Lehm und Bambus, mehrfach preisgekrönt. Und stabil seit fast 20 Jahren. Das Fundament aus gebrannten Ziegeln schützt die Wände vor der Feuchtigkeit des Monsunregens. Dem Lehm wurden, außer Stroh, keinerlei Zusätze beigemischt. Ein Bambusdach schützt vor Sonne und Regen. Leuchtendbunte Saris schmücken Decken und Türen. Höhlenartige Räume und eine Art Baumhaus im Innern dienen als Spielplatz.
„Form Follows Love“ anstatt „Form Follows Function“.
„Form Follows Love“ lautet die Maxime von Anna Heringer, anstatt des nüchternen „Form Follows Function“. Die Liebe zu natürlichen und lokal vorhandenen Materialien wie Lehm, Bambus, Holz und Weiden steht bei ihr im Zentrum. Und die Liebe zu den Menschen, dem Miteinander gestalten und bauen. Der gemeinsam entstehenden Kreativität sowie der positiven Energie, die bei dieser Art von Bauprozess für alle spür- und erlebbar wird. „Wir sind alle miteinander verbunden und Teil eines größeren Ganzen. Und daraus ergibt sich die Verantwortung, so zu handeln, dass es für alle gut ist. Das bedeutet letztlich, dass wir aus Liebe handeln müssen“, schreibt sie.
Nach mehreren Bauten im Globalen Süden hat sich Anna Heringer auch nach Deutschland und Österreich gewagt. Häufig gemeinsam mit dem österreichischen Lehmbaupionier Martin Rauch und dessen Unternehmen Lehm, Ton Erden Baukunst. Schon im Studium hatte sie dort einen Workshop besucht und sich dann für die Lehmbau-Architektur entschieden. Vor 20 Jahren war das noch recht gewagt.
Hierzulande stößt man heute beim Bauen mit Lehm schnell an die Grenzen unserer westlichen Normen und Baustandards und muss viel Überzeugungsarbeit leisten. Doch mit Kreativität und Erfindergeist wird es möglich. Denn bei der Suche nach Alternativen zum CO2-intensiven Bauen mit Beton und Stahl rückt auch der kreislauffähige Lehmbau in den Fokus.
Zusammenarbeit mit Lehmbau-Pionier Martin Rauch
Gemeinsam mit Martin Rauch entwarf Heringer eine Erweiterung des Rosina Ayurveda Kurzentrums in Rosenheim. Holz, Weiden und Lehm sind die natürlichen Materialien vor Ort, der an einen Auwald grenzt. Das Gebäude schlängelt sich organisch an der Au entlang. Mit einer tragenden Holzkonstruktion, Stampflehmwänden und einer geflochtenen Fassade aus Weiden. Innen: Samtiger Lehmputz, handgefertigte Keramikfliesen und eine fein getönte, cremige Kasein-Spachtelung für Böden und Möbel. Alles zusammen sorgt, so Heringer, für Harmonie im innen und außen.
Neben ihrem Studio in Laufen sind die Lehre an Hochschulen und das Halten von Vorträgen in aller Welt wichtige Standbeine und Einnahmequellen. Sie hat eine Honorarprofessur am UNESCO-Lehrstuhls für Lehmarchitektur, Baukulturen und nachhaltige Entwicklung. Außerdem unterrichtet sie die Methode des Clay Storming (intuitives Entwerfen mit Ton in unterschiedlichen Formen und Maßstäben), die sie zusammen mit Martin Rauch entwickelte, an der ETH Zürich, der UP Madrid, der TU München und Graduate School of Design in Harvard. An Wettbewerben nimmt Heringer selten teil. Sie findet es sinnvoller, selbst Projekte zu initiieren und zu unterstützen. Die Mischung aus ihren verschiedenen Tätigkeit macht ihr das möglich.
Forderungen für eine nachhaltige Transformation der Bauwirtschaft
Anna Heringer stellt im Buch Forderungen für eine nachhaltige Transformation der Bauwirtschaft. Sie ruft die Branche auf, Änderungen der aktuellen Bedingungen zu fordern. Denn, “Für einen gesunden Planeten braucht es eine angemessen hohe CO2-Steuer.“ Umweltauswirkungen von Materialien müssten eingepreist werden. „Es ist einfach nicht akzeptabel, dass eine Wand aus CO2-neutraler Erde, die von Handwerkern aus der Region gebaut wird, mehr kostet als eine Wand aus Stahlbeton.“, schreibt sie. Außerdem müsse unsere Arbeitskraft, die kreativste und wichtigste Energiequelle, die wir haben, wieder bezahlbar werden.
Am Ende der Buchvorstellung in der AEDES Architekturgalerie weißt Anna Heringer noch auf den Pop-Up-Shop mit Kleidern, Kissen und Schals von Dipdii Textiles im Nebenraum hin. Heringer hat die Frauenkooperative für faire Mode und Textilkunst in Rudrapur, Bangladesch, mitinitiiert.
Mein Fazit: Ein inspirierendes Buch über eine Architektin, die zeigt, wie mit traditionellem Lehmbau, kombiniert mit modernem Design und lokalen Materialien, wunderschöne Gebäude entstehen. Für Heringer ist das Bauen tief in der menschlichen DNA verankert. „Wenn wir alle unsere Fähigkeiten und Leidenschaften bündeln, werden wir es aus der Klimakrise schaffen, und das könnte uns helfen, zusammenzuwachsen“, davon ist Heringer überzeugt.